Wer bist Du? Woher kommst Du? Was machst Du hier?
Mittlerweile mache ich Alles hier. Ich bin geboren in Wien und hab die Kindergartenzeit bei meinen Großeltern in Englhartstätten verbracht. Währenddessen haben meine Eltern in Orth an der Donau Haus gebaut, wo ich dann hingezogen bin. Später bin ich in Wien im 1. Bezirk in die Volksschule gegangen und hab dadurch in Orth nie einen Freundeskreis gehabt, weil das dort nie ein Fixpunkt war für mich. Dort war zwar das Haus, aber meine Freunde waren in Wien. Nach Groß-Enzersdorf kam ich über Umwege, weil mein Vater seinerzeit hier eine Wohnung gekauft hat. Ich hab keine Wurzeln in Orth, fühle mich deshalb auch nicht als Ortherin und auch nicht als Groß-Enzersdorferin. Ich würde sagen ich bin eine Marchfelderin. Ich hatte immer das Gefühl, wenn man hier nicht geboren ist, findet man den Anschluß nicht und gehört nicht wirklich dazu. Es gibt die „Enzersdorfer“, die immer schon da waren. Aber als ich mit 21 herkam, obwohl ich ein Kind hatte im Kindergarten, war es schwer. Ich hatte das Gefühl: Jeder hat sein Haus, jeder hat seinen Garten, jeder hat seinen Gartenzaun und die Gartentür ist zu! Man winkt sich zu, man redet zwar miteinandern, man lernt Leute kennen, aber es entwickeln sich daraus keine interessanteren oder engeren Beziehungen.
Das höre ich relativ oft. Ist dieses „Dazu-gehören“ wirklich so erstrebenswert? Wie fühlt sich das an?
Wenn man gewisse Veranstaltungen hernimmt, macht es für mich den Unterschied, wenn man dort reingeht und gemustert wird. Nicht daß ich unbedingt dazugehören möchte, aber es ist ein komisches Gefühl sich fremd zu fühlen.
Entweder man ist geduldet, oder man gehört dazu. Gibt es noch andere Schattierungen? Würdest Du Dich besser fühlen, wenn Du dazugehören würdest?
Früher war das ein Thema. Ich bin von Groß-Enzersdorf damals in den 12. Bezirk und dann in den 16. Bezirk gezogen, wo ich mich z.B. sehr wohl gefühlt habe. Ich weiß nicht warum, vielleicht lag es am Multikulti oder daran, daß ich jünger war, es war jedenfalls anders. Danach habe ich eine Zeit lang in einem Wohnblock in Liesing im 23. Bezirk gewohnt, das war wieder vergleichbar mit hier, wo ich weniger Menschen kennengelernt habe. Aber mir hat trotzdem Groß-Enzersdorf immer gefehlt.
Was ist das Besondere an bzw. in Groß-Enzersdorf für Dich?
Erst mal meine Wohnung, die ich als mein Zuhause erkannt habe, als Wurzel, die ich in meinem Leben brauche. Auch die Unabhängigkeit, die durch die Lage der Wohnung bedingt ist, da ich hier kein Auto brauche, wenn ich im Zentrum wohne. Ich war eine Zeit lang im Fitnessstudio und hab dann erkannt, daß ich dafür kein Geld ausgeben brauche, weil ich sowieso die Natur vor der Tür habe. Ich kann die Jahreszeiten genießen. Wenn ich laufen gehe, kann ich entscheiden, laufe ich kürzer, laufe ich länger. Ich geh zum Bäcker, hole mir ein Eis oder treffe schnell Freundinnen. Ich setze mich in den Bus und fahre in die Stadt. Von hier aus komme ich in jede Richtung. Das Alles hat mich wieder zurückgebracht.
Hat sich das dann besser angefühlt, als Du wieder zurückgekommen bist?
Ja, es hat sich schon besser angefühlt, weil ich mich in meiner Wohnung zuhause gefühlt habe und gelernt haben, daß ich in meinem Leben einen Anker und eine gewisse Sicherheit brauche, dass ich mich dann freier bewegen kann.
Sind das vielleicht Erfahrungswerte, daß man woanders Negatives oder Positives erlebt hat. Einerseits macht die Summe dessen Einen zu dem der man ist, andererseits kann man das dann mit anderen Augen sehen.
Ja, ich habe es mit anderen Augen sehen gelernt, daß das nun so für mich paßt und ich nicht mehr suchen muss, ob es vielleicht da oder dort schöner oder besser ist.
Wenn man Groß-Enzersdorf nimmt, wieviel Prozent an diesem Heimatgefühl macht Deine Wohnung und wieviel Prozent der Rest drumherum aus?
Mittlerweile ist es mehr. Die Lobau, der Weg am Eissalon vorbei an der Stadtmauer entlang und der Waldweg zu meinem Büro. Meine beste Freundin, wohnt gegenüber, eine andere liebe Freundin, wohnt gleich ums Eck. Die regelmäßigen Treffen. All das zusammen.
Wie glaubst Du, sieht das jemand, der hier geboren ist und nie irgendwo anders war?
Mein engster Freundeskreis ist zugezogen oder wohnt schon lange hier. Nur wenige sind von hier, die das Haus der Eltern z.B übernommen haben. Da hat sich nie die Frage gestellt wegzuziehen. Ich weiß gar nicht, ob denen bewusst ist, was sie hier haben. Die Natur, die Infrastruktur, obwohl der Stadtkern nach und nach ausstirbt. Ich war mal in Rumänien, da haben die Städte mehr Flair.
Aber Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Ich versuche u.a. herauszufinden, was macht das Großenzersdorfer-sein aus? Was macht diese Identität aus? Es kann kaum einer erklären.
Ja ich auch nicht. Mir fehlt hier der Charme, um sagen zu können, ich bin eine Groß-Enzersdorferin. Es gibt Orte die hier einfach negativ ins Auge stechen, der Autoschrottplatz am Weg Richtung Marchfeld, das Einkaufszentrum uvm. Eigentlich gibt es hier alles was man braucht im Ort. Am Mittwoch Markt bekommt man alles von lange Unterhosen, über Bundesheersocken, bis zum Staubwedel. Das Donauzentrum hätte ich nie gebraucht. Der Busbahnhof, der schon seit ewigen Zeiten hergerichtet werden sollte, ist ein optischer Albtraum. Bei mir in der Anlage bekomm ich im kleinen Rahmen mit, daß den Menschen hier der Sinn für Ästhetik fehlt. Ich geniere mich, wenn jemand zu mir zu Besuch kommt und durch die Anlage gehen muss. Am Weg zu unseren Bauten kommt man am Müllplatz vorbei. Es ist den Meisten egal, daß es dort schrecklich ausschaut, niemand will Geld dafür investieren. Auch notwendige Dinge wie ein Handlauf für ältere Menschen oder ein Spielplatz für Kinder will man nicht anschaffen. Ein schöner Baum vor der Tür soll umgeschnitten werden, weil die Blätter aufs Auto fallen. Ich gehe zu keiner Hausversammlung mehr, weil ich die Krise bekommen würde.
Wie kann das sein? Wo liegen deiner Meinung nach die Wertigkeiten der Menschen hier?
Für mich war es wichtig mit meinem Kind rauszugehen in die Natur, ich weiß nicht was die anderen bewegt und was ihnen wichtig ist. Meine Tochter zieht es derzeit eher nach Orth, sie hat dort ihre Freunde und fühlt sich dort wohl. Aber was macht ein Jugendlicher hier im Ort? Die Kinder und jugendlichen Menschen müssen immer irgendwohin gebracht werden, weil es hier nix gibt. Weder Lokale, noch Angebote für Hobbys. Wo sollen sie sich treffen und kennenlernen? Vielleicht passiert das ja Alles übers Internet.
Man kann es nur vermuten. Es wäre sicherlich schön mehr Vielfalt hier zu haben und die würde sicher auch genutzt werden. Es wird schwierig UnternehmerInnen zu finden, die sich hier trauen zB neue Gastronomie zu eröffnen. Mir scheint es ein sicheres Geschäft zu sein, einen Friseur aufzumachen, sonst hätten wir nicht so viele.
Ja unbeschreiblich. Was auch noch gut geht sind Optiker. Das kann aber Groß-Enzersdorf nicht ausmachen, aber vielleicht ist es die Kombination aus Stadt und Land.. In Niederösterreich zu wohnen und gleich in der Stadt sein zu können. Hier hat man die gute Luft, kann entspannen, die Hühner die in den Gärten herumrennen. In der Stadt hat man das genaue Gegenteil.
Auf der anderen Seite ziehen Menschen zu, die sich über die Hühner und die Wasser-Pumpen hinter den Dörfern beklagen, weil sie nicht verstehen, daß das hier eine landwirtschaftliche Region ist. Darin sehe ich eine Herausforderung für die Politik, die die Entwicklung der Region ausschließlich bestimmt. Man zieht zwar Menschen zu den Prozessen hinzu, aber wirklich verbessert wird nichts. Wie empfindest Du das?
Wenn man mit jüngeren Leuten redet, erfährt man, daß die Problematik ist, daß etwas Junges, Neues, Frisches im Keim erstickt wird. Es wird gar nichts aus der Hand gegeben und die Leute, die etwas ändern wollen, die hauen, aufgrund der Erfahrung der letzten 10-20 Jahre, schon vorher den Hut drauf, weil sie sich denken, es ist eh sinnlos. Weil jeder der etwas versucht hat zu verändern wird belächelt oder das Projekt ist im Sand verlaufen.
Beim Höfefest war es anders, da hat jemand gemacht ohne vorher um Erlaubnis zu Fragen und es wurde mit der Zeit größer. Aber spannend ist, daß es eine Initiative von einem Zugezogenen ist, die mittlerweile Identitätsstiftend für den Ort geworden ist. Viele sehen das jetzt als „Ihr Höfefest“.
Ja ich denke, man darf einfach vorher nicht viel verraten und darüber reden. Wenn es jemanden gibt, der sagt Ich mach das jetzt und ihr könnt gerne mitmachen, hat das mehr Chancen, als wenn man vorher fragt.
Das eine ist die Politik, die vieles ausbremst und das andere ist die Nähe zur Stadt. Eine blöde Mischung, weil alles, was es hier nicht gibt, kann ich mir ja aufgrund meiner Mobilität anderswo holen. Es gibt zwar viele Dinge, die die Menschen hier stören, über die sie sich beklagen, aber der Leidensdruck ist nicht groß genug, damit sie es selbst ändern wollen.
Es sind die Meisten dann doch mit den Alternativen zufrieden.
Jetzt haben wir sehr lang geredet darüber was schlecht ist, aber was wäre denn Deine Vision für Groß-Enzersdorf?
Ich wünsch mir mehr Leben auf der Straße, von dem man sich auch anstecken lassen kann. Ich wünsch mir wieder so eine kleinen Adventmarkt, wie es ihn früher im Stadtpark gab, ohne Schlagermusik. Das war fein, weil es offen war und man beim Vorbeifahren schon sehen konnte, ob da etwas los ist. Der „neue“ Markt ist sehr abgeschlossen. Wir haben ja einen Heurigen im Ort mit einem Gastgarten, da sieht man auch nicht rein, ob etwas los ist. Das empfinde ich nicht als einladend.
Was wäre, wenn Du die Möglichkeit hättest, im Rahmen eines Vereins oder einer ähnlichen Organisation dich dafür einzusetzen, dass so etwas entsteht?
Ja ich glaub, dass es mehr Initiativen braucht, die solche Dinge organisieren, die Feste machen, die vielleicht Happenings veranstalten, die zum Nachdenken anregen. Es fehlt Vielen etwas hier, gleichzeitig können sie es aber auch nicht artikulieren, was es ist und sie haben keine Vorstellung was Anders werden könnte. Ich glaube den meisten fehlt wirklich die Idee, daß es eine Veränderung geben kann. Die Veränderungen die man jetzt sieht gehen eher ins Schlechte.
Dann bleibt nur zu hoffen, dass sich trotzdem weiterhin engagierte Menschen finden, die sich nicht entmutigen lassen. Vielen Dank für das Interview.