Ich heiße Sabine Gstöttner, bin in der Donaustadt aufgewachsen und lebe seit ca. 25 Jahren in Essling, wo ich auch mein Büro für Landschafts- und Stadtplanung betreibe. Mir ist beruflich wie privat wichtig einen Bezug zum Wohnort herzustellen. Ich brauche Nachbarschaft und will mein Lebensumfeld spüren. Ich hatte aber das Gefühl, dass das viele Menschen hier verlieren, weswegen ich mich hier beruflich engagiere und u.a. den „Treffpunkt Essling“ initiiert habe.
Dinge aus dem direkten Lebensumfeld nutzen zu können, macht u.a. Lebensqualität aus. Hier am Stadtrand leben Menschen oder ziehen bewusst hier her, wegen der Freizeitqualität. Sie gehen Laufen, Schwimmen oder Spazieren. Umgekehrt mangelt es aber an Angebotsvielfalt für die Deckung anderer täglicher Bedürfnisse. Dafür ist es einfacher sich ins Auto zu setzen und abzutauchen.
Was ich u.a. mit „Treffpunkt Essling“ verbessern wollte, war das Sichtbar-machen was es gibt und motivieren hier einzukaufen, denn es hat viele Vorteile die nahen Angebote im Wohnumfeld nutzen zu können. Es belebt den Raum, wenn mehr Menschen zu Fuss oder mit dem Rad unterwegs sind. Das ist ein schöneres Bild. Man trifft die Menschen, man lernt sie kennen. Man geht selber, man spürt den Ort und die Umgebung.
Wenn ich heute hier die Hauptstraße entlang gehe, egal zu welcher Zeit, treffe ich immer jemanden, den ich kenne. Das macht für mich das Projekt erfolgreich!
Zur Person
Sabine Gstöttner, lebt und arbeitet seit beinahe 25 Jahren am Stadtrand von Wien, in Essling, einem Stadtteil der Donaustadt.
Die 2-fache Mutter hat Landschaftsplanung und -pflege an der BOKU Wien studiert und ist Inhaberin des Landschaftsplanungsbüros inspirin.
Von 2017 bis 2019 bespielte sie mit ihrem Team eine ehemalige Bankfiliale als Grätzl-Treffpunkt. Der TRESOR (=Treffpunkt Essling Offener Raum) war ein Treffpunkt für Jung und Alt und wurde in der Zeit vielfältig genutzt. Aus dem Zwischennutzungsprojekt entstanden viele weitere Projekte, die heute noch nachwirken.
Ihren Lebensraum zu spüren und Nachbarschaft zu leben treibt Sabine Gstöttner an, Essling und den Stadtrand aktiv mitzugestalten.
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Kannst Du Dich bitte vorstellen?
Ich heiße Sabine Gstöttner, wohne seit 1996 im südlichen Teil von Essling, am Rande der Lobau, nah am Wasser, was ich sehr schätze!
Ich wohne, lebe und arbeite hier. Beruflich bin ich als Landschafts- und Stadtplanerin tätig. Mir ist es beruflich wie privat sehr wichtig, einen Bezug zum Wohnort herzustellen.
Ich brauche Nachbarschaft und will mein Lebensumfeld spüren, nutzen und einen Vorteil daraus ziehen und nicht wegfahren müssen, um die Dinge, die für mich wichtig sind, woanders zu konsumieren. Ich hatte aber das Gefühl, dass viele Menschen hier diesen Fokus verloren haben, weswegen ich begonnen habe mich hier beruflich zu engagieren.
Bist Du eigentlich hier aufgewachsen oder zugezogen ?
Ich bin in der Donaustadt aufgewachsen und lebe seit ca. 25 Jahren in Essling. Ich glaube, dass es so eine Vorbelastung braucht, um sich hier zu engagieren.
Der Stadtrand polarisiert ja sehr, entweder man liebt ihn oder lehnt ihn ab. Es gibt sicher Zeiten, wo es einen weg zieht – so in jungen Jahren, wie es bei meinen Kindern gerade zu spüren ist. Ich bin mir aber sicher, dass sie wieder zurückkommen werden, weil sie diesen Ort und seine Qualitäten schätzen.
Was ich am östlichen Stadtrand selbst schätze, ist die Ebene. Wie man aufwächst, das prägt einen auch. Wenn man in den Bergen aufgewachsen ist, dann zieht es einen dorthin. Mich zieht es ins Flachland und da schätze ich das Marchfeld und die Lobau mit dem Wasser. Ich liebe es, mit dem Fahrrad zu fahren, weil es hier flach ist. Die Angebote im Marchfeld nehme ich positiv wahr, etwa den Hofladen des Biohof Adamah, nutze ihn aber nicht, da ich ja fußläufig vom Hofladen der Frau Mader wohne.
Haben Menschen, die hier „nur“ schlafen, andere Bedürfnisse und Ansprüche an den Lebensraum „Essling“, als jemand wie Du, die hier lebt und arbeitet?
Ich glaube nicht, dass es hier um Bedürfnisse geht, sondern, dass diese Menschen die Möglichkeiten nicht erkennen, weil sie viele Dinge nicht sehen und spüren. Da habe ich den Vorteil, dass ich von zu Hause mit dem Rad in mein Büro fahren kann und so besser wahrnehme, was es hier alles gibt.
Aber warum ist das so? Liegt es an zu wenig Zeit, Desinteresse oder mangelnder Neugier am Lebensumfeld?
Das liegt wohl daran, dass Vielen die Dinge nicht bewusst sind, die Lebensqualität ausmachen. Angebote aus dem direkten Lebensumfeld nutzen zu können, macht u.a. Lebensqualität aus.
Hier am Stadtrand leben Menschen oder ziehen bewusst hier her, weil sie hier Freizeitqualität vor der Tür haben, was man innerstädtisch nicht hat. Sie gehen Laufen, Schwimmen oder Spazieren. Umgekehrt mangelt es aber an Angebotsvielfalt für die Deckung anderer täglicher Bedürfnisse. Dafür ist es einfacher bzw. gelernt, sich ins Auto zu setzen und abzutauchen. Man ist schnell weg und hat somit nicht die Möglichkeit, zu erkennen, was es hier gibt.
Die andere Herausforderung ist der Zeitfaktor. Es ist einfacher und schneller, die Einkäufe, diversen Erledigungen und kulturellen Aktivitäten mit dem Arbeitsort zu verbinden.
Wenn man das mit einem innerstädtischen Wohnort vergleicht, da gibt es nicht diese großen Supermärkte, wo man vor der Tür parken und für die ganze Woche einkaufen kann. Da ist es klar, dass man die Dinge des täglichen Bedarfs zu Fuss einkaufen geht und dabei spürt man einfach auch den Ort anders. Die Innenstadt ist nicht das Allheilmittel und ich will den Stadtrand nicht zur Innenstadt machen.
Was ich mit „Treffpunkt Essling“ verbessern wollte, war das Sichtbar-machen von alle dem, was es gibt und motivieren, hier einzukaufen. Denn es hat viele Vorteile, die nahen Angebote im Wohnumfeld nutzen zu können. Es belebt den Raum, wenn mehr Menschen zu Fuss oder mit dem Rad unterwegs sind. Das ist ein schöneres Bild. Man trifft die Menschen, man lernt sie kennen. Man geht selber und spürt so den Ort und die Umgebung.
Laufen wir hier nicht Gefahr, dass wir einer gewissen Romantik aufsitzen, nämlich daß wir das, was wir vielleicht in unserer Kindheit selbst erleben durften, als Idealbild empfinden? Ich selbst habe das, was Du eben skizziert hast in meiner Kindheit so erlebt, ich wurde so sozialisiert. Das ist etwas, was ich als lebenswert empfinde und mir so auch für unsere Kinder wünsche, nämlich Lebensqualität im eigenen Lebensumfeld zu haben und nicht immer wegfahren zu müssen. Für Andere, die vielleicht in der Stadt aufgewachsen sind und an den Stadtrand gezogen sind, ist es vielleicht erstrebenswert, schnell in die Stadt (zurück) zu kommen, weil dort sind die Freunde, die Lieblingslokale und Geschäft usw. Wie konkret motivierst Du die Menschen hier einzukaufen. Das Sichtbar-machen ist eines, das Motivieren ist etwas ganz anderes. Kann man Menschen dazu wirklich motivieren?
Ich glaube zum Einen macht es die Mischung aus: es geht nicht nur um die ökonomische Brille, sondern auch um die Freizeit-Brille und um die kulturellen Angebote, die es hier gibt.
Wir können aufzeigen, dass man hier zum Friseur gehen und Brot kaufen kann. Das es hier nette Lokale gibt, wo man zum Beispiel seinen Cafe trinken kann. Das ist für Viele schon ein AHA-Erlebnis. Wie gesagt ich wohne ca. 800m von der Hauptstraße und vom Ortskern entfernt. Wenn ich öffentlich fahre, führt mich der Bus durch den Stadtteil und ich sehe was es da gibt. Aber Viele, die mit dem Auto fahren, kommen gar nicht in den Ortskern und haben so keine Möglichkeit zu sehen, was es gibt.
Das Zweite ist das, was wir mit dem TRESOR begonnen haben und den dortigen Veranstaltungen, die es ja dann auch in ganz Essling gab. Wir haben das danach auch evaluiert. Wir bekamen Rückmeldungen, dass man jetzt alleine z.B zu den Musikabenden jeden letzten Freitag im Monat gehen kann. Da sind die Leute dann alleine hingekommen, ich auch, weil ich gewußt habe, da kenne ich Leute und kann alleine hingehen. So ein Netzwerk entstehen zu lassen, ist toll.
Also zum Einen das Angebot sichtbar machen und zum Anderen motivieren, hinzugehen. So wird das gelernt und man weiß, z.B. daß jeden letzten Freitag im Schloss ein Musikabend stattfindet. Solche Formate sind sehr wichtig für so einen Lernprozess.
Es war ja ursprünglich eine Wirtschaftsförderung, die wir für den TRESOR bekommen hatten, aber es ging nicht nur darum, die Unternehmen anzusprechen, sondern – ganz wichtig – auch die BewohnerInnen.
Eine wichtige Zielgruppe in so einem Prozess sind die Einpersonen-Unternehmen, die nämlich meist unsichtbar in ihren Wohnungen und Häusern arbeiten. Diese zusammenzubringen und Netzwerke zu bilden auf diversen Ebenen, ist ganz wichtig in einem Stadtteil. Was sich daraus entwickelt, muss man dann eh offen lassen. Unser Ziel war es, die Player und Multiplikatoren dazu zu bringen, sich zu engagieren und eigene Ideen umzusetzen, auch im ökonomischen Eigeninteresse. Denn es bringt ihnen unternehmerisch ganz sicher etwas, wenn sie sich hier engagieren und ihr Netzwerk stärken.
Das ist mir in Gross-Enzersdorf auch aufgefallen. Vor 25 oder mehr Jahren gab es einige Initiativen und Feste, die von UnternehmerInnen organisiert wurden. Wir haben dann vor circa 10 Jahren versucht, die Tradition wieder aufleben zu lassen und den UnternehmerInnen-Verein dafür zu begeistern, sich wieder stärker zu engagieren. Das Projekt ist daran gescheitert, dass niemand die Zeit dafür aufbringen wollte. Fehlt es wirklich an Motivation und Zeit, sich persönlich zu engagieren?
2 Dinge dazu: Ich glaube, dass es hier zum Einen das mangelnde Bewusstsein darüber ist, dass dieses Engagement ihnen auch wirtschaftlich etwas bringen kann. Zum Zweiten ist das Bild des Unternehmers oft negativ behaftet. Unternehmer sind jene, die nur Geld verdienen wollen und wirken meist unnahbar. Die EPUs sind da etwas anders, da sie oft UnternehmerInnen und BewohnerInnen in Personalunion sind, darin liegt aus meiner Sicht eine Chance in der Stadtteilarbeit.
Wie glaubst Du, bringen wir die Menschen hier am Stadtrand näher zusammen?
Ich glaube nicht, dass die Menschen den Kontakt untereinander scheuen. Ganz im Gegenteil, ich glaube, dass es hier zu wenige Kontaktmöglichkeiten gibt, weil die Angebote teilweise nicht bekannt sind. Und weil sie viele Wege mit dem Auto erledigen und da ist naturgemäß keine Kontaktmöglichkeit gegeben.
Braucht es mehr Begegnungsorte?
Nein, die Orte gibt es ja, aber es braucht mehr Möglichkeiten, sich zu begegnen. Eine Möglichkeit ist es, die Menschen zu motivieren, die lokalen Angebote zu nutzen. Nicht nur die ökonomischen Angebote sondern auch die kulturellen wie z.B. das Sommerfest im Park oder Boule zu spielen mit uns.
Am Beginn unseres Projekts haben wir uns gefragt, „Wann ist es ein Erfolg?“ Eine Antwort war „Wenn wir mehr Menschen im Stadtteil kennen.“ Wenn ich heute hier die Hauptstraße entlang gehe, egal zu welcher Zeit, treffe ich immer jemanden, den ich kenne. Früher hätte ich niemanden gekannt und niemanden gegrüßt.
Das heißt: wir können zusammenfassend sagen, daß sich durch Deine Arbeit die Kontaktmöglichkeiten verbessert und dadurch viele Menschen kennengelernt haben. Menschen in Essling wurden sichtbarer, Gesichter haben einen Namen bekommen und diese wiederum haben Geschichten erzählt. Dadurch ist die Scheu gefallen. D.h es braucht mehr Sichtbarkeit und mehr Menschen, die gerne auf Andere zugehen? Weil ins Gespräch zu kommen liegt ja nicht jedem.
Nun, wenn ich mit jemandem ins Gespräch kommen will, dann grüße ich mal. Das nächste Mal sitzen wir vielleicht in der Singgruppe zusammen und dann treffe ich diese Person auf der Straße wieder. Es braucht also die Kontaktmöglichkeit und das sind unter anderem Veranstaltungen und beiläufige Möglichkeiten, wie z.B. Einkaufen gehen in der Apotheke oder bei der Frau Mader im Bioladen an der Lobau.
Apropos Kontaktmöglichkeiten: wir spielen ja Boule, sowohl ihr in Essling, als auch wir in Groß-Enzersdorf. Wollen wir nicht ein gemeinsames Spielen initiieren?
Ja das klingt gut, dann sollten wir Termine finden. Vielleicht mit einer 2 wöchentlichen Taktung ab Ostern, wo wir gemeinsam trainieren können. Essling Freitag Abend, Gross-Enzersdorf Sonntag Abend alle 2 Wochen abwechselnd und im Sommer machen wir ein Turnier EsslingerInnen gegen Gross-EnzersdorferInnen. Dann werden wir das so in der nächsten Ausgabe des Stadtteil-Magazins ankündigen.
Das klingt nach einem Plan, danke für das Gespräch!
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