Georg Vogt

Forscher, Dozent, Autor, Kurator, Filmemacher
Gross-Enzersdorf

Ich bin in Gross-Enzersdorf aufgewachsen, habe mich während der Schulzeit völlig absentiert. Nach der Matura bin ich in den Familienbetrieb eingestiegen und habe nebenbei immer wieder studiert.

Als ich später das Handwerk an den Nagel hängte habe ich das Studium abgeschlossen, mein Lebensmittelpunkt war bis dahin großteils in der Stadt. Heute arbeite ich in der Forschungsabteilung der FH St. Pölten und kann hier über neue Netzwerke in Niederösterreich Projekte mit diversen Kooperationspartnern im Land abwickeln. Interessanter Weise bekomme ich über diesen Umweg lokale Anbindung und lerne mehr Menschen in Groß-Enzersdorf kennen.

Durch die Kinder wurde ich auch zunehmend immobiler und bin wieder hier angekommen und habe versucht Impulse zu setzen und zu schauen, wer könnte da noch sein, der etwas  machen will. Ich habe dann Leute mit ähnlichen Interessen gefunden und verschiedene Projekte aufgesetzt, wie z.B. das SUBURBINALE Filmfestival.

 „Die Groß-Enzersdorfer“ würden mich nicht mit einem Filmfestival in Verbindung bringen, weil sie mich als Bäcker kennen. Umgekehrt finden es Leute aus der Wissenschaft lustig, wenn sie erfahren, daß ich einmal Bäcker war.

INTEGRATION

Ich versuche mich seit vielen Jahren zu integrieren und herauszufinden, was die Leute hier antreibt und wie die Dinge funktionieren. Ich sehe mich in der Rolle von jemandem, der einerseits von da ist, aber sich andererseits auch integrieren möchte. Aber die Art, wie Vieles hier traditionell organisiert wird, war für mich dabei schon eine Hürde, weil ich mir damit schwer tue, wenn ich Prozesse nicht finden kann. Die Art wie Gemeinschaft hier organisiert ist, divergiert stark von der Art, wie sie sich selbst wahrnimmt.

Unsere Gemeindestruktur ist über Generationen die gleiche geblieben, auch die Mitwirkenden sind fast dynastisch und versuchen das, was sie gelernt haben in einem dynamischen Umfeld unverändert weiterzumachen. Für diese Akteure ist das sehr schwierig, denn gerade in der ländlichen Lokalpolitik möchte man ja nicht anstreifen. Groß-Enzersdorf ist eine extrem Konfliktfeindliche Gemeinde. Jeder kann hier mehr oder weniger machen, was er will, bis es einen Konflikt gibt, und der wird dann auf eine komische Art und Weise ausverhandelt.

IDENTITÄT

Die Groß-Enzersdorf“ waren früher eine Gruppe, die mehr oder weniger im Fußmarsch-Distanz um die Stadtmauer gewohnt haben. Das waren Leute, die haben sich jeden Tag persönlich begrüßt und hatten eine Ahnung, was wie zusammenhängt. Inzwischen besteht der Ort ja aus einem riesigen Gürtel drumherum, mit vielen neuen Leuten mit anderen Interessen.

Heute leben hier viele Menschen, die zugezogen sind, mit solchen die z.B. den Flugverkehr gerne zur Kenntnis nehmen, weil er Teil ihrer Identität geworden ist. Es gibt natürlich gemeinsame biografische Bezugspunkte, die Leute von außerhalb nicht haben. Das hat Konfliktpotential.

Neu zugezogene BürgerInnen haben, wenn sie hier rausziehen, so wie ich wahrscheinlich woanders ihre Anknüpfungspunkte und somit keinen besonderen Impetus, wenn es hier kein Angebot gibt, sich zu integrieren oder sich darüber Gedanken zu machen.

Ich glaube, dass hier ganz viele unterschiedliche Sachen passieren, die wir alle nicht kennen, weil es die Anschlussstellen zueinander nicht gibt. Die Leute könnten wahnsinnig viel, aber weder merken wir es, noch können wir es abholen. Das ist spannend!

Wir stehen vor vielen komplexe Fragen, die schwierig zu beantworten sind und für die wir wahrscheinlich die Methoden erst entwickeln müssen.

(c) M. Jahoda

Zur Person

Der gebürtige Groß-Enzersdorf, ist verheiratet und Vater von 2 Kindern.

Ursprünglich sollte der gelernte Bäcker das Familienunternehmen übernehmen, entschied sich aber dann doch für eine akademische Laufbahn und ist heute als Forscher am Institut für Medien und digitale Technologie der FH St. Pölten tätig.

Nebenbei engagiert sich Vogt politisch und kulturell in Groß-Enzersdorf, so ist er u.a. Mitbegründer und Kurator des Suburbinale Filmfestivals  sowie Redaktionsmitglied der Topothek Groß-Enzersdorf

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Was würdest du jemandem erzählen, der wissen will, wer du bist, was dich ausmacht und in welchen Kontext du zur Gemeinde stehst?

Das ist schwer zu sagen. Es käme wahrscheinlich darauf an, in welchem Kontext ich den Leuten begegne. Das würde ich versuchen, mir zu überlegen.

Wenn es z.B. ein Zugezogener ist, der interessiert ist, sich zu engagieren in der Gemeinde und er stolpert über dich. Was würdest Du ihm erzählen?

Ja, da würde ich immer erzählen, daß ich hier im Zentrum wohne, schon lang und die Geschichte meiner Familie hier relativ weit zurück reicht und ich hier mal ein Handwerk gelernt habe und mein Lebensmittelpunkt dann lange nach Wien verlagert habe und jetzt hier wieder tätig bin. Aber daß ich meine Tätigkeit über ein großes Areal verstreue und in Gross-Enzersdorf habe ich ganz spezielle Anknüpfungspunkte, aber relativ wenig Kontakt zu der Gruppe, die man als „DIE Enzersdorfer“ bezeichnet, also die Leute, die traditionell die Stadt in ihren Prozessen begleiten und sich formiert haben.

Heißt das, Du hast die meisten Kontakte zu den sogenannten „Zugereisten“?

Auch nicht, weil ein Großteil meines Freundeskreises ist nicht von hier. Ich hab persönliche Bekanntschaften in Groß-Enzersdorf, die kommen entweder aus meiner Volksschule Zeit, Leute die ich wieder treffe, aber mit denen ich keinen engen Kontakt habe oder Leute, die ich jetzt im Zuge von anderen Sachen treffe. Alle meine Freunde sind aus Wiener Schulen, von der Universität, von anderswo. Ich habe kaum Freunde in Groß-Enzersdorf, mit denen ich so regelmäßigen sozialen Kontakt hätte, oder jetzt wieder, weil manche auch Freunde sind, mit denen man andere Sachen macht. Aber es ist nicht so, daß es Leute gäbe, mit denen ich hier immer schon zu tun gehabt hätte und die mich immer wieder begleitet hätten oder wo ich regelmäßigen Kontakt gehabt hätte. Das geht über die Familie bei mir hier nicht hinaus. Ich z.B nie bei der Feuerwehr und hab mich in der schulzeit völlig absentiert und insofern bi ich erst mit den Kindern wieder hier angekommen und im öffentlichen Raum sichtbar geworden.

Hat das damit zu tun, daß deine Eltern das nicht forciert haben, oder hat dich das nicht interessiert hier den „normalen Weg“ zu gehen und Dich zu engagieren in Form von Vereinsarbeit?

Ich glaube, meine Eltern waren da auch nie engagiert und die waren kulturell eigentlich auch jenseits von Groß-Enzersdorf unterwegs. Sie haben mich eher ermutigt, den Wiener Sängerknaben anzuschließen, oder sie sind gern in die Oper gegangen in Wien. Also sie nutzten lieber die bürgerlichen Hochkultur-Angebote, die es hier in der Form nicht gibt. Meine Eltern haben sich sozusagen sehr als bürgerliche Unternehmer verstanden und waren selber eigentlich im Ort nicht tätig. Ich war mal im Tennis Verein und sie haben mich ermutigt, beim Turnverein mitzutun. Aber es hat mir keinen großen Spaß gemacht.

Du warst in der Tat bei den Sängerknaben?

Nein, ich wollte das nicht machen, ich habe mich verweigert. Meinen Eltern war es wichtig, mich z.B. in die Kirche zu integrieren, weil es einfach hier zum guten Ton gehört. Das hab ich ein Weilchen mitgemacht, aber ich hab dann aktiv nach der Firmung auch nichts mehr partizipiert. Also ich bin auch an die Kirche nicht angebunden.

Aber rückblickend, ist dir irgendwas entgangen? Findest du schade, daß du irgendwo nicht dabei warst? Oder ist das für dich gut so, wie es ist?

Man weiß ja nicht, wo man nicht dabei war. Insofern weiß ich nicht, ob ich etwas versäumt habe. Aber man lebt das, was man erlebt hat und damit war ich ganz zufrieden. Insofern wüsste ich nicht, ob es hier Schlüsselereignisse gegeben hätte, bei denen ich gerne beteiligt gewesen wäre. Würde mir jetzt nicht viel einfallen.

Ich war zum Beispiel im Internat und nicht zu Hause die meiste Zeit und konnte mich daher nicht meinen damaligen Interessen widmen. Ich wäre z.B. gerne zur Feuerwehr gegangen, weil das war eine Leidenschaft von mir. Später hätte ich ich gerne Schuhplatteln gelernt, denn da gab es Volkstanzvereinen. Hattest Du solche Interessen oder Kindheitsträume?

Nein, hab ich nicht. Obwohl rückblickend, vielleicht wäre so etwas wie Feuerwehr oder Rettung eine Option gewesen. Auch im Kindergarten hatte ich keine Vision, wo mein Leben hingehen soll.

War das immer klar, daß du später die Bäckerei deiner Eltern übernimmst?

Das war sicher eine Erwartung meiner Eltern, aber nachdem sie sich selber irgendwann getrennt haben und sich operativ in verschiedene Tätigkeitsfelder aufgespalten haben, war das dann irgendwann nicht mehr so verbindlich. Dann war auch klar, daß man das alleine nur unter enormen Zeitaufwand machen kann. Unter den Rahmenbedingungen, unter denen wir das entschieden haben, war es dann relativ naheliegend damit aufzuhören? Also meine Mutter ist in Pension gegangen. Die Fragen wäre gewesen: „Soll ich das allein machen? Wie kann man das aufbauen?“ In den Nullerjahren war Bäckerei ein etwas forderndes Geschäftsfeld. Ich weiß nicht, wie das heute ist, aber damals war das sehr in Transformation und hätte ein großes Commitments gebraucht und auch die Lust, daß man das anders aufstellt und die hat mir gefehlt. Das war dann für uns alle eine Erleichterung, daß wir das nicht mehr machen mussten.

Hat sich parallel dazu schon abgezeichnet, was für Dich die Alternativen sind? Oder hast du das erst für Dich finden müssen?

Ich bin dann in meine Interessen gegangen. Ich habe vorher studiert und hab dann überlegt, was könnte ich fertig studieren und mich dann auf das fokussiert. Aber das hat sich dann eigentlich in einem offenen Prozess ergeben.

Das heißt, du hast neben deiner Arbeit schon studiert?

Ja. Ich habe seit der Matura Philosophie und Pädagogik studiert, immer wieder in kleinen Häppchen. Aber das natürlich nie besonders weit getrieben. Die Sachen, die mich interessiert haben und ab und zu Prüfungen gemacht. Und dann habe ich gesagt, ich mache das jetzt in strukturierter Form fertig und schau mal, was da rauskommt.

Wenn man hier wohnt und Philosophie und Pädagogik studiert, dann gibt’s wahrscheinlich nicht viele, mit denen man sich austauschen kann. Hast Du hier im Ort Menschen gefunden, die einen ähnlichen Interessens-Horizont hatten?

Ich hatte zu der Zeit keinen Kontakt zu Leuten. Ich bin beim Tor raus zur Uni, damals noch mit dem Auto in die Innenstadt und am Abend wieder zurück. Dort habe ich viele Bekanntschaften geknüpft und nette Leute kennengelernt, aber ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, daß das hier irgendjemanden interessieren könnte.

Glaubst du, daß das etwas ist, was viele Menschen hier teilen, daß sie gar nicht erst auf die Idee kommen, sich klarzumachen, was es hier gibt an Möglichkeiten. Einerseits zu konsumieren, aber auch an Kulturveranstaltungen, weil sie das in der nahen Großstadt sowieso haben.

Ja, das nehme ich an. Es ziehen ja viele raus, die biografische Knotenpunkte in Wien haben, die sie von hier aus relativ leicht weiter pflegen können. Es gibt sicher ein Interesse, aber soweit ich mich erinnern kann, war das Kulturangebot, als ich studiert habe, hier auf relativ traditionelle Formate beschränkt, die mich jetzt nicht wahnsinnig interessiert haben. Selbst so Angebote wie unser Klassik Konzert gibt’s ja erst seit ein paar Jahren. Konzerte fanden hier eigentlich kaum statt. Das hat sich auch geändert, jetzt gibt es das Höfefest und eine Theatergruppe. Aber all das, was ich studiert habe, war hald in Wien abgebildet und ich glaube, daß ist für andere Leute auch so. Sonst hat man hier hald nur so gesellige Festformate, die man vom Land kennt. Formate der Zusammenkunft, die aber nicht so gut funktionieren, wenn man die Leute hier nicht kennt. Man hat dann doch wenig Motivation, auf z.B. den Kirtag zu gehen.

Du meinst also, wenn die Leute sich untereinander besser kennen würden, respektive neugierig aufeinander wären, daß dann mehr Menschen unterwegs wären und sich so vielleicht doch mehr an Angebot entwickeln könnte?

Nein, das glaub ich eigentlich nicht. Ich hab damals, als ich durch die Kinder immobiler wurde, versucht Impulse zu setzen und zu schauen, wer könnte da noch sein, der etwas Ähnliches machen will und mit denen dann über dieses Interesse ins Gespräch zu kommen. Aber es gibt sicher Viele hier, mit denen ich überhaupt nichts anfangen kann, die auch nicht davon profitieren würden, wenn ich jetzt versuche, mit ihnen in einen Dialog zu treten. Ich habe dann Leute gefunden, die ähnliche Interessen haben und verschiedene kleine Projekte aufgesetzt, die in diese Interessen gehen und die so wie unser SUBURBINALE Filmfestival auch andere Leute adressieren, die es vielleicht noch gibt oder die dann wieder von woanders in diesen Lebensraum kommen können und die neue Beziehungen bilden. Da bin ich jetzt nicht unzufrieden.

Hast du eine Vision, einen Traum? Gibt es etwas, was du hier noch initiieren willst?

Nein, ich bin ein großer Fan von negativer Dialektik. Ich baue gerne alles ab, was mir nicht gefällt. Aber ich habe keine Vision, wo das hinführen soll.

Du bist also einer, der hier die Stolpersteine wegräumt, anstatt neue Wege zu bauen?

Ja, nicht einmal das, weil ich ja keinen Weg weiß, wo ich die Stolpersteine wegräumen könnte. Aber es gibt so Sachen, die ich mir denke, man könnte sie anders machen. Und dann geh ich es in kleinen Schritten an, aber ohne jetzt meistens eine Vision zu haben, wie das letztlich dann ausschauen sollte. Weil mir dann wahrscheinlich auch die Dynamik des Entstehens wichtig ist. Wenn das mal weg ist, was geht dann wieder für eine Perspektive auf? Und wenn du so eine Vorstellung von einem Weg hast irgendwohin, dann ist es halt ein Weg. Aber unsere Gegend ist ja eine mit ganz viel Transformation, insofern glaube ich, daß man immer die vielen Wege im Blick behalten muss, oder auch aus Wegen wieder weggehen und andere Wege aufmachen und so das Ganze durchwandern, als neue Karte. Ich glaube, da ist unsere Gegend auch total gefordert, weil wir eben in diesem Zwischenraum sind, wie wir sie schon oft thematisiert haben. Weder Stadt noch Land! Am Land wäre es relativ einfach, da würde ich mich entscheiden, daß ich mich in die Landstruktur eingliedere, oder hald nachbarschaftliche Beziehungen aufbaue. Weil man in einem viel kleinteiligeren Raum mehr zusammen arrangieren kann, z.B in Bezug auf die ganzen Alltagskleinigkeiten, die es da gibt Gartenpflege, Landwirtschaft, Viecher usw. Das gibt es hier alles nicht. Also hast du einerseits so ein abstraktes Interaktionsniveau, was man überhaupt machen will, muss man sich erst einmal ausdenken, weil es diese Tages-Notwendigkeiten hier nicht gibt. Andererseits hast du Vieles nicht, was es in der Stadt als Format sowieso schon gibt, von der Gastronomie bis zu Kulturveranstaltungen. Ist alles hier zwar möglich, aber noch nicht instituiert.

Du hast erwähnt, daß Du durch die Immobilität, die durch die Kinder in Dein Leben kam, geschaut hast, wer sich auch für das interessieren könnte, wofür Du dich interessierst? Heißt das, daß mit zunehmender Mobilität der Kinder Dein Interesse, Dich hier einzubringen wieder schwinden wird?

Nein, weil die Beziehungen, die hier entstanden sind, nicht wieder schwinden. Ich fürchte, das hat mich jetzt in verschiedene Netzwerke eingebunden, aus denen ich so leicht nicht mehr rauskomme, die ein neuer Schwerpunkt in meinem Leben sind. Also oft will ich da auch nicht wieder rauskommen. Insofern ist das ein Wandel, der jetzt vielleicht bleibt, mal schauen. Also nachdem wir nicht vorhaben, hier wegzuziehen zurzeit und ich jetzt lerne, wie die Prozesse hier funktionieren, was ja auch ein langer Lernweg ist und wo man etwas machen oder nicht machen kann, bin ich schon dafür. Also glaube ich nicht, daß sich das verliert, nur weil die Kinder und ich wieder mobiler werden. Ich habe ja meine Kontakte anderswo hin auch noch, insofern kann ich halt vor allem an Kulturevents nicht mehr in dem Ausmaß teilnehmen wie früher. Aber die wird es hier in der Qualität, die ich mir vorstelle, auch nicht wirklich geben. Aber es gibt heute andere Formate, die dann interessant sein könnten.

Jetzt hast Du im zweiten Bildungsweg eine völlig neue Richtung eingeschlagen. Was machst du denn beruflich?

Ich bin Wissenschaftler und beschäftige mich mit Medien und Kultur. Hab das klassisch an der Uni Wien studiert, als Theater-, Film- und Medienwissenschaft und war dann 17 Jahre lang Assistent. Hab dann freiberuflich gearbeitet als Kurator, Autor, Herausgeber und bin jetzt an der FH St. Pölten in der Forschungsabteilung. Das ist die Gelegenheit ein anderes Netzwerk in Niederösterreich zu spannen, in Wissenschafts- und Wirtschaftskooperationszusammenhängen. Habe einige größere Projekte, für die ich selber verantwortlich bin und versuche auch kleinere Projekte mit Kooperationspartnern im Land abzuwickeln. Was wiederum für mich interessant ist, weil ich dadurch lokale Anbindung bekomme und in Groß-Enzersdorf mehr Menschen kennenlerne. Ein interessanter Zufall, daß die Aufwertung der Gegend in meinem Leben jetzt so eine Umweg-Rendite erzeugt, daß ich von Zentrum kommend hier Kooperationspartner suchen kann, die mit mir Projekte abwickeln im wissenschaftlichen Bereich.

Wir dürfen gespannt sein, wie du deine Arbeitswelt hier in die Stadtrandregion bringst. Wie glaubst du denn, kann Groß-Enzersdorf von Deinem beruflichen Tun profitieren oder partizipieren?

Ganz konkret haben wir jetzt ein interaktives Video für eine Ausstellung gemacht, die hier stattgefunden hat, wo es darum ging, in einer Skizze etwas Regionales abzubilden. Weiters mache ich im Oktober einen Workshop, wo es darum geht, sich zu überlegen, was für technologisches Know-how oder Entwicklungenr Unternehmerinnen interessant wären. Da kann ich sozusagen Entwicklungsscharnier sein, hin zu der entsprechenden Expertise oder selber etwas anbieten. Aus meiner klassischen Filmhistorischen Sicht haben wir unser Filmfestival gegründet. Das ist eine Perspektive, wo man auch einen globalen Schnittpunkt bauen kann, wo von Außen etwas in die Gemeinde kommt. Das wären so Dinge, die heute auf verschiedenen Ebenen und verschiedenen Größen durchaus schon reale Anschlusspunkte sind.

Spürst Du bei Deinem Tun Offenheit und Neugier in der Bevölkerung, oder mußt Du da viel Überzeugungsarbeit leisten?

Das ist schwer zu sagen, es ist abhängig vom Kontext. Von den Wirtschaftstreibenden sind einige an diesem Workshop interessiert. Da das relativ neu ist, muss man schauen, wie das aufgeht. Aber ich glaube schon, daß es da eine Offenheit und Neugier gibt auch bei den Koorganisatorinnen, den zuständigen Stadträten. Bei der Ausstellung gibt es Interesse von Leuten, wie so neue Formate funktionieren und das hat immer so einen WOW-Effekt, wenn man mit neuen Medien arbeitet. Bei dem Festival gibt es auch Leute, die kommen, aber dabei muss man berücksichtigen, daß man etwas sehr Spezielles und Kleines in eine Region bringt, wo es halt wahrscheinlich im Verhältnis genauso viele Leute interessiert wie anderswo. Also ein Prozent oder ein Promille der Leute, die das Interesse teilen, aber die zu finden ist für mich auch schon eine interessante Sache. Wenn die kommen und sich interessieren, bin ich schon zufrieden.

Jetzt interessiert mich eines brennend: Wie nimmst du Dich selbst wahr im Kontext von Groß-Enzersdorf? Siehst Du Dich als gut integriert oder eher als ein Alien, und welche Auswirkungen hat das auf dein Interagieren in der Politik und am Kultursektor?

Ich versuche mich ja schon seit vielen Jahren zu integrieren und herauszufinden, was die anderen Leute hier antreibt und wie die Dinge funktionieren. Also ich sehe mich schon sehr in der Rolle von jemand, der einerseits von da ist, aber sich andererseits auch integrieren möchte. Das Schöne am Integrieren ist ja, daß man als Baustein dann erhalten bleibt in dem neuen Konvolut. Und alles andere drumherum ist im Gegensatz zu Assimilation-Tendenzen, wo man sich einfügt und aufgeht. Diese Identitätsfragen sind heute wahrscheinlich komplexer als früher, was die Interaktion spannender macht. Also ich glaube, die Leute und ich selbst, nehmen mich wahrscheinlich in den verschiedenen Kontexten auch unterschiedlich wahr. Also Einige assoziieren mich vollkommen mit meiner Familiengeschichte, man könnte diese Gruppe als „Die Groß-Enzersdorfer“ zusammenfassen. Die kennen meine Vorfahren und kennen die Geschichte meiner Familie und perspektivieren mich über das und interagieren mit mir halt auch immer aus dieser Perspektive heraus, weil sie wissen, daß wir die besten Salzstangerln der Welt gemacht haben. Das ist natürlich eine völlig andere Form von Beziehung, wenn jemand Erfahrungen mit mir gemacht hat, als ich jünger war und in der Produktion der Bäckerei gearbeitet habe. Das ist ein realer Aspekt meines Lebens, der hald für diese Gruppe ein größerer Bezugspunkt ist, als Leute, die ich dann z.B. über eine Kultur-Agenda treffe. Also die (Groß-Enzersdorfer) würden mich nicht mit einem Filmfestival in Verbindung bringen, weil sie mich als Bäcker kennen. Umgekehrt finden es Leute aus der Wissenschaft lustig, wenn sie erfahren, daß ich einmal Bäcker war. Das ist natürlich auch immer so ein lustiger Assett, wenn man so einen biografischen Grundbruch hat. Verschiedene Leute in verschiedenen Kontexten nehmen einen halt dann völlig verschieden wahr. Ist mir wahrscheinlich nicht wichtig, wie man wahrgenommen wird. Aber man hat unterschiedliche Gesprächsebene, auf denen man mit den Leuten interagieren kann.

Es ist wahrscheinlich eine gute Voraussetzung, wenn man abgekoppelt ist, statt wie manch andere ihr Leben so zu leben, wie sie meinen das es für ihr Ansehen gut ist.

Man kann darin auch gut aufgehen. Vielleicht ist es auch schön, wenn man sich in so einer sozialen Funktion verwirklicht. Aber die Art, wie das hier organisiert ist, ist mir hald auch sehr fremd, weil ich eben aus Wissenschaft und Projekt-Zusammenhänge komme und aus politischer Theorie. Da war die Art, wie vieles hier traditionelle organisiert wird, für mich schon an eine Hürde, mich zu integrieren, weil ich mir damit oft schwer tue, wenn ich Prozesse nicht finden und nicht abgebildet sehen kann. Wenn man sieht, wie die Gemeinschaft organisiert ist und das weiß man, wenn man hier aufgewachsen ist, sehr stark divergiert von der Art, wie sie sich selber wahrnimmt und mit den Ansprüchen, die sie an die Leute stellt.

Kannst du dir vorstellen, daß es Menschen gibt, die sich nicht vorstellen können, daß es Menschen gibt, die Schwierigkeiten haben sich zu integrieren?

Ja sicher, Integration findet ja auf vielen Ebenen statt. Aber ich kenne viele Leute, denen es total schwergefallen ist, sich schon auf der Ebene der Berufsfelder und des Arbeitsmarkts zu integrieren, die hier geblieben sind und ihre Nischen lange suchen mussten.

Der Terminus „Integration“ ist für die meisten Menschen konotiert mit „Flüchtlingen“. daß es einer Integration Bedarf von Menschen, die zB aus anderen Regionen herziehen. daß es einer Integration bedarf von Menschen, die hier geboren sind, lange in Wien gelebt haben und wieder zurückziehen. Kann es sein, daß das Viele gar nicht am Radar haben?

Ja, wenn ich von Integration rede, dann meine ich immer die Integrierung in die verschiedenen Lebensfelder. Das ist ja in unserer Lebenszeit viel komplexer geworden, als es früher war. Also für meine Elterngeneration war das noch durchaus üblich und möglich, hier das ganze Leben zu verbringen und nur in Ausnahmefällen Bezugspunkte nach außen zu haben. Aber hier alles wesentliche Soziale abzuwickeln hat natürlich auch zu einer relativ engen und nachvollziehbaren sozialen Struktur geführt. Jetzt ist das anders. Wenn wir von Integration reden, dann müssen wir wahrscheinlich von verschiedensten Lebensfeldern reden, in die wir uns jeweils integrieren und das stellt natürlich eine gigantische Frage an die Gemeinde: in welchen Lebensbereichen biete ich Integrationsangebote an für die Leute, die hierherziehen?

Damit Integration funktionieren kann, braucht es eine klare Identität, daß die, die hier ankommen wissen, wohin sie kommen und was das Spezielle ist, was die Eigenart ist dieses Ortes, dieser Region. Dann kann man erst sagen, passe ich da dazu, oder will ich da dazu passen?

Ja, wobei die Orte haben auch schon ganz heterogene Identitäts-Angebote hier. Es gibt ganz viel Subkultur bei uns oder ein ganz fragmentiertes kulturelles Angebot, wo die Sachen wenig miteinander zu tun haben. Das ist ja das schöne an einer kleinen Stadt, daß sie kein Dorf ist, wo du nur einen Wirt und eine Blaskapelle eine kleine Theatergruppe hast, sondern hier gibts ja tatsächlich schon relativ viel.

Wir haben ja die Erfahrung gemacht in der Gr.Enzersdorfer Facebook-Gruppe, daß die, die hier geboren sind oder vielleicht schon immer hier gelebt haben gerne sagen: „Wenn Du nicht von hier bist, dann kannst du das und jenes nicht verstehen“. Sie können aber nicht definieren, warum es nicht verstanden werden kann, respektive was das Groß-Enzersdorfer-Sein ausmacht.

Ja, da reden Sie von Ihrer eigenen historischen Erfahrung, die für Sie prägend ist. Leute, die zugezogen sind versus diejenigen, die z.B. den Flugverkehr gerne zur Kenntnis nehmen, weil er Teil ihrer Identität geworden ist. Es gibt natürlich gemeinsame biografische Bezugspunkte, die Leute von außerhalb nicht haben. Das sind immer Totschlagargumente, wenn man über die Gegenwart redet.

Ich nehme Menschen wahr, die es nicht verstehen, daß es vielleicht sinnvoll ist, zu differenzieren zwischen denen, die hier geboren sind und denen, die hier zugezogen sind. Es sind ja unterschiedliche Bedürfnisse oder würdest Du alle unter dem Titel des „Homo Suburbanicus“ in einen Topf werfen?

Nein, ich würde sie noch viel weiter ausdifferenzieren und mir mal anschauen, wo sind eigentlich die Interessen? Ich glaube, daß sich die Interessen von manchen Zugezogenen, mit denen die immer schon hier gelebt haben, total überschneiden können und daß die Interessen von manchen, die hier immer schon gelebt haben, auch völlig divergieren können. Also wenn wir schon von Integration in dem Zusammenhang reden, müsste man mal schauen, was sind so die Fälle, die hier überhaupt passieren? Die Vielfalt dessen, was möglich ist, wäre dann das Bild der Stadt, das man vielleicht in deinem Wort „Identität“ fassen könnte, aber das besteht sicher aus Feldern, die oft gar nichts miteinander zu tun haben.

Da stellt sich mir die Gretchenfrage: Braucht es die Identitätsfragen? Braucht es Integration?

Integrationsfragen sind ja keine Identitätsfragen. Identität ist immer eine Form von Übereinstimmung. Die Frage ist eher: womit? Mit dem Gesamtbild der Stadt? Es könnte ja z.B. einen kommunistischen Lesekreis geben, der Marx und Gramsci liest und das ist für mich spannend, weil ich gleichzeitig an der Uni Wien studiere. Das ist dann für mich super als Zuagroasta oder als Anwohner, der immer schon Gramsci lesen wollte. Aber das interessiert natürlich sonst überhaupt keinen. Aber wenn es irgendwo abgebildet ist, hätte ich ja das als ein Identitäts Angebot. Integrativ wäre ja eigentlich das gesamte politische Modell der Stadt, in der das aufgehen würde. Also transportiert eine Stadt ihre Vielfalt ode stellt sie sie aus, oder will eine Stadt sich auf ein fixes Bild davon verständigen, was hier wichtig ist und was nicht? Ich glaube, da sind wir in so einem unabgeschlossen Transformationsprozess…

Ich würde gar nicht so weit gehen, daß es unabgeschlossen ist, sondern daß es noch gar nicht begonnen wurde. Wir haben uns ja schon öfters die Frage gestellt: „Sind wir Stadt oder Land?“ Ich glaube, es hat sich hier noch niemand Gedanken gemacht darüber: Was will Groß-Enzersdorf sein? Für wen will Groß-Enzersdorf Lebensort sein? Und wenn das klar ist, wie soll dieser Lebensort aussehen? Soll es eine Schlafstätte oder ein lebendiger Ort sein? Oder akzeptiert man einfach, daß man mit der großen Stadt vor der Tür eh nicht konkurrieren kann. Für mich ist noch nicht klar: Was will Groß-Enzersdorf sein?

Ja, wer ist Groß-Enzersdorf? Wer wären die Leute, die das bestimmen? Wahrscheinlich müsste man so ein Bild aus all diesen Faktoren, die man ja nicht beeinflussen kann, bauen. Groß-Enzersdorf kann sich natürlich auch nicht aussuchen, unter welchen Umständen es seine Prozesse entwickeln kann. Wir haben ja nicht die Auswahl, was wir sein wollen, sondern vieles ist uns durch das Eingebunden-sein an den Rest Österreichs einfach aufgegeben und mit dem müssen wir umgehen.

Man kann sich jetzt zum Opfer erklären oder man kann einen Schritt nach vorne machen und kann eine Vision definieren und sagen: Wir wollen eine lebenswerte Stadt sein. Was auch immer das dann heißt. Oder wir sagen: Wir sind die erste Schlafstadt. Bei uns tut sich nichts, es ist OK für uns, wenn alle Geschäfte zusperren, es keinen Wirt mehr gibt und wir wollen ungehinderte Mobilität und bitte unsere Ruhe!

Ja, das kann man auch machen. Aber ich glaube, dafür gibt es Verhandlungs- und Transformationsprozesse. Nur sind hald die Leute, die das entscheiden und behandeln müssen, vermutlich von dieser Entwicklung auch sehr überfordert, weil es kompliziert ist. Ich glaube, es gibt schon einen Konsens, daß man Lebensqualität im Sinne von Gemeinschaft schaffen will. Es ist nur noch nicht ganz klar, wie man das eben machen soll, mit all diesen neuen und unterschiedlichen Interessensgruppen, wie eben Leute, die primär hierher kommen, weil Wohnen hier billig und grün und gleichzeitig so halbwegs Stadtnahe ist. Die also sagen, was sie bestimmten biografischen Entscheidungen kommen, weil ihre Kinder im Grünen aufwachsen sollen und die völlig andere soziale Bedürfnisse haben, die man erst in irgendeiner Form abfragen oder konstituieren müsste für so eine Lebensform und die mehr oder weniger gut abgeholt werden kann, je nachdem, wie man die Leute hald auch im Siedlungsraum verstreut. Also der komplexe Zusammenhang eines Soziotops ist ja da auch wieder bis hin zur Raumordnung zu denken. „Die Groß-Enzersdorf“ sind ja auch eine Gruppe, die mehr oder weniger im Fußmarsch-Distanz um die Stadtmauer gewohnt hat. Das darf man nicht vergessen, das waren Leute, die haben sich jeden Tag persönlich begrüßt und hatten sozusagen eine Ahnung, wer wo wohnt und was wie zusammenhängt und wie die Ökonomie funktioniert. Und inzwischen besteht das ganze Ding ja aus einem riesigen Gürtel drumherum von neuen Leuten mit anderen Interessen. Und die Frage, wie sich diese Interessen abbilden können, hat sich aus der Logik der Verwaltung natürlich nicht aus deren Sinn gestellt.

Kann es jemals gelingen Interessen von Wittauern, Oberhausen und Probstdorfern mit Groß-Enzersdorfern unter einen Hut zu bringen?

Ich denke da nicht an die Katastralgemeinden, sondern z.B. an die Leute, die in den ehemaligen Gärten mitten im Stadtzentrum leben, in anderen Wohnformen als es vorher üblich war. Die wohnen relativ dicht und da weiß ich nicht, ob die irgendeine Form von Anschluss gefunden haben an die Umgebung. Schon die Tatsache, daß aus diesem ehemaligen Riesengärten und Höfen größtenteils Wohnbauten geworden sind, ist ja eine Veränderung, die aber trotzdem die Leute nicht in das Soziotop dieses kleinen Raums offensichtlich integriert hat, weil die sind bei den Enzerdorfern nicht dabei.

Die Probstdorfer sind ja z.B. ein gutes Beispiel für eine sehr autonom organisierte Community, die sehr viel Wert darauf legen, daß die Sachen auch selbst gestalten und die viele soziale Strukturen haben, die gut funktionieren.

Die Einfamilienhäuser kommen da auch noch dazu, die sich da ins Endlose ziehen. Aber alleine die Hunderten oder wahrscheinlich tausende Leute, die hier in die Innenstadt zugezogen sind, könnten Begehrlichkeiten haben am öffentlichen Raum, weil sie nicht diese riesigen Flächen haben, die den anderen Anwohnern schon vorher zur Verfügung standen. Und ich wüsste jetzt nicht, daß die irgendwo sichtbar wären. Also vereinzelt gibts Leute, die sich engagieren, aber die aus Interesse an der Stadtentwicklung mitzudenken ist glaube ich noch ein ausstehender Schritt.

Meinst Du, daß sie sich das nicht zutrauen, oder daß sie nicht interessiert sind?

Selbst wenn sie interessiert wären, hätten sie keine Anlaufstelle. Also es gibt die Organisationsform nicht, die sie einbindet, wo man sagen könnte es gibt so ein regelmäßiges Informationsforum. Wir haben zwar die Infos von der Gemeinde was so geplant ist und man kann sich natürlich beschweren, wenn der eigene Lebensraum betroffen ist.

Haben wir nicht eine eigene Verantwortliche für Bürgerbeteiligungen in der Gemeinde?

Ja die könnte man natürlich anschreiben, aber wenn es keine Bürgerbeteiligung-Formate in dem Sinne gibt, fühle ich mich jetzt auch nicht aufgefordert das einzufordern. Also die gibt’s ja in regelmäßigen Abständen relativ groß und es gibt so unabgeschlossen Prozesse, für die sie vielleicht zuständig ist oder abgeschlossene Prozesse. Aber es gibt ja auch keine partizipative Agenda von seiten der Gemeinde, soweit ich es verstehe. Also mir wäre jetzt kein Projekt bekannt, daß sich jetzt genau über diese Frage Gedanken macht: Was wäre jetzt in der Transformation der Stadt eigentlich zu bedenken, wenn ich sage, ich habe jetzt gerade für den Stadtkern 2 000 potenzielle neue Konsumentinnen und was heißt das für die Infrastruktur? Ich würde schon mal hypothetisch annehmen, daß das sehr viel heißen kann. Wenn es früher 200 Leute gab, die fußufig in der Nähe vom Hauptplatz wohnten und jetzt hat man 1500, dann heißt das viel für den Verkehr, für den öffentlichen Raum, für die Ansprüche an die Räume, die es hier gibt. Ich wüßte nicht das mal versucht worden wäre, das mal irgendwo abzubilden. Die Leute fahren halt auch dann mit dem Auto woanders hin. Und wenn sie hier rausziehen, haben sie ja auch so wie ich wahrscheinlich woanders ihre Anknüpfungspunkte und jetzt keinen besonderen Impetus, wenn es hier kein Angebot gibt, sie zu integrieren, sich damit Gedanken zu machen. Du fährst hald aus deinem Haus raus in der Schloßhof und fährst nach Wien um dort deine Freunde zu treffen.

Wenn man das jetzt umdreht, glaubst Du, daß die die Gemeindeverwaltungen kein Interesse hat oder überfordert ist, damit diese Bürgerinnen abzuholen?

Das ist schon etwas, wo ich feststelle, daß es immer wieder Gedanken dazu gibt. Das kommt ja einerseits aus der Vereinszene, die sich beschweren, daß ihre Formate und Verein keine neuen Mitglieder finden. Da gibt’s offensichtlich einen Schwund an Leuten, die da mitmachen wollen und gleichzeitig haben sie doch festgestellt, daß es keinen Kontakt zu den Zugezogenen gibt. Das zeigt auch die Defizite der politischen Verantwortung auf, wenn man da überhaupt keinen Neuen kennt und kein reziprokes Verhältnis zu den Leuten hat und auch nicht weiß, was die wollen, erwarten oder was man für sie tun kann.

Es ist eine Bringschuld der Gemeinde, weil man als Gemeinde wahrscheinlich dafür verantwortlich ist, Organisationsformen zu finden, die der Gemeindestruktur entsprechen. Aber das ist natürlich eine riesige Aufgabe, die auch neu ist. Unsere Gemeindestruktur ist ja schon über Generationen die gleiche geblieben. Die Leute haben das gelernt. Es ist ja fast dynastische, wer da mitmacht und das sind dann dieselben Leute, die versuchen, das, was sie gelernt haben, jetzt in einem dynamischen Umfeld weiterzumachen. Und für die ist das total schwierig, denn gerade in der ländlichen Lokalpolitik mag ja auch keiner anstreifen. Es gibt ja auch keine Partizipation-Kultur, die abseits der Parteien Mitbestimmungs- Modelle anbieten würde. Insofern glaube ich, es wäre eine politische Frage wie organisiere ich das Gemeinwesen so, daß ich dem Rechnung tragen kann? Also eine Bringschuld von wahrscheinlich politischen Akteuren, die nicht Partei sein müssen, aber die zumindest Gestaltungs- und Organisations-Vorschläge machen. Und da gibt’s jetzt bei uns ja auch nicht wirklich viele Initiativen, es gibt vor allem die Parteien, die sich organisieren und versuchen, darauf Rücksicht zu nehmen oder es in ihre Abläufe zu integrieren soweit sie das hald können. Die sind ja da auch sehr verschieden in ihren Ansätzen, auch was sie unter „Land“ verstehen. Also es gibt natürlich politische Schwerpunkte weiter nach Osten, die ein konservativeres Modell von Gesellschaft vorschlagen und es gibt die Urbanität und da stehen wir dazwischen. Auch was die politische Organisationsform angeht, gibt’s ja auch Identitäts-Vorschläge wie, Wir sollten endlich auch eine eigene Blaskapelle haben, oder, Wir hatten nie eine, woran liegt das? Warum haben wir so Sachen, die am Land so gute Identitäts-Anker sind eigentlich nicht, oder werden immer weniger?

Eine etwas andere Frage um langsam zu eine Ende zu kommen: gibt es aus deiner Sicht einen Genius Loci?

Nein, glaub ich nicht, daß es das gibt und daß es das in dem Sinne braucht. Mein Vorschlag wäre hier, daß man versucht, diese Differenz zu gestalten, also die Vielfalt ins Zentrum der Überlegungen zu stellen. Das man sagt, man ist hier der Sammelpunkt von Leuten mit ganz unterschiedlichen Lebensmodellen und Bedürfnissen. Das man versucht, diese eben in das politisches Konzept zu integrieren, daß sie eben nebeneinander, aber kooperativ hier eine Stadt gestalten können. Und es hätte sich ja ganz viele urbane Momente, in unserem Fall aber auch ganz viele ländlich konservative. Also es wäre sozusagen die Frage: was kann gerade unser spezifischer Raum an dieser Kannte da Besonderes leisten? Und das ist ja für suburbane Gebiete immer noch eine unbeantwortet Frage.

Im wahrsten Sinne des Wortes ist der Stadtrand eine Randerscheinung, über den man sich nicht gerne Gedanken macht und nicht damit auseinandersetzt.

Man sieht sich ja nicht als solcher. Die Leute sehen sich hier ja oft als sehr traditionsreiche Stadt. Also es gibt ja die tausendjährige Stadtgeschichte und ich kann sagen, das ist jetzt die Stadt mit dem Beiwerk. Also sich überhaupt mal zu begreifen in diesem Beziehungsgeflecht mit Wien, welches ja viel enger ist als es mit anderen Umlandgemeinden ist, das ist schon ein Riesenschritt. Und sich dann zu überlegen: Was bedeutet das für für Tages- und Bewegungsmaße? Was bedeutet das für die Zeit der Leute? Und was bedeutet das wiederum für die Gestaltung unseres ganzen Gemeinwesens? Das sind total komplexe Fragen, die völlig schwierig zu beantworten sind und für die wir wahrscheinlich die Methoden erst entwickeln müssen.

Aber irgendwer sollte sich dafür verantwortlich sehen und Interesse entwickeln und sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Weil wenn wir etwas Vielfältiges, Nachhaltiges und Zukünftiges entwickeln wollen muss es irgendwer angehen bzw. sich überhaupt mal zutrauen.

Es können natürlich nur die politischen Akteure sein, die da versuchen zu intervenieren. Damit meine ich jetzt nicht primär Parteien, sondern auch Leute die sagen, wir brauchen gesellschaftliche Organisationsformen. Diese wiederum müssen Zeit haben, die sie dafür aufwenden können. Was bei den Zugezogenen oft ein Problem ist, und bei den jungen Familien, die logischerweise wenig Zeit haben, sich politisch zu engagieren, im Sinne von Gemeinwesen gestalten. Wenn die Leute hierherkommen um verschiedene Lebensphasen hier zu verbringen und dann wieder wegzugehen, vielleicht ist das für die auch nicht interessant, hier mitzugestalten, weil sie an den Dingen eben nicht partizipieren wollen. Es wäre die Herausforderung das alles in irgendeiner Form einmal abzubilden und die entsprechenden Freiräume und Infrastrukturen zu schaffen, damit sich etwas entfalten kann. Stichwort „Stadtpark“, wo man sich ja bei uns traditionell drauf entschieden hat, daß man Sachen lieber aus dem öffentlichen Raum heraushält, weil das alles Konfliktfelder sind. Ein Identitätsmerkmal von Groß-Enzersdorf ist sicher, daß es eine extrem Konfliktfeindliche Gemeinde ist. Man versucht hier aus meiner Wahrnehmung Leute und Konflikte, möglichst aus der öffentlichen Wahrnehmung rauszuhalten. Es gibt die Konflikte ja trotzdem, sie werden halt in andere Bereiche verlagert. Wie Harald Frey bei seinem Vortrag richtig gesagt hat: Öffentlicher Raum ist, gerade in einer Gesellschaft, die so vielfältig ist wie die unsere, auch der Raum, wo ich mit den anderen etwas ausverhandeln kann und mit der Begegnung umgehen muss. Was uns hier glaub ich sehr abhanden gekommen ist. Ab und zu habe ich Streithafte Auseinandersetzungen mit anderen Anwohnern und dem folgt eigentlich immer der Schrei nach irgendeiner Obrigkeit. Die Leute sind wenig in der Lage im direkten Kontakt Sachen zu verhandeln, sondern es ist oft so, daß man sich auf die Obrigkeit bezieht und dann erwarten, daß man ihnen für alles eine Regel gibt. Aber gleichzeitig bei den Regeln, wie z.B. in der Gestaltung des öffentlichen Raums für sich selber maximale Flexibilität einfordern, wo es möglich ist. Weil im ländlichen Raum hast Du deine rigide Vorstellung von dem Ding und da kommt dann der Bürgermeister und schimpft mit dir, wenn man deine Pflanzen anders sind. Aber wenn du bei uns durch die Stadt gehst, ist das irgendwie free4all. Jeder kann in diesem Raum mehr oder weniger machen, was er will, bis es einen Konflikt gibt. Und der wird dann auf eine komische Art und Weise ausverhandelt. Also der öffentliche Raum ist für mich so ein klares Symbol für diese Ahnungslosigkeit, wie man damit umgeht. Fragen die ich in diesem Kontext gerne aufwerfe: Was erwarten wir eigentlich von den Leuten, wenn sie eigenverantwortlich ein Stück übernehmen sollen? Was ist ihr Rahmen für das? Das wäre so in der Miniatur das Modell, das wir für die ganze Stadt aus meiner Sicht entwickeln müssten. Wieviel Eigenverantwortung kann ich den Leuten überschreiben und wie arbeite ich mit Leuten, die sich engagieren wollen? Und inwieweit kann ich die Leute zur Kenntnis nehmen, die weder Zeit noch Raum haben, sich da zu beteiligen? Das sind schwierige politische Fragen.

Eine abschließende Frage hätte ich noch an den Filmemacher in Dir: Wenn Du einen Film über Groß-Enzersdorf drehen würdest, wäre das dann ein Drama, ein Feel-good-Kino, eher eine lösungsorientierte Doku oder etwas ganz anderes?

Ich komme ja aus dem Experimental- und aus dem Essayfilm-Bereich. Ich würde wahrscheinlich versuchen, den Ort zu porträtieren, dabei wäre ein möglicher Ansatz, inwieweit ich die Lebenssphären der Leute hier in ihrer Entkoppelung voneinander darstellen kann. Also inwieweit leben hier Leute, die zwar den selben Ort bespielen, aber mit völlig unterschiedlichen Ambitionen und ohne irgendetwas miteinander zu tun zu haben. Mit möglichen Berührungensflächen, aber vielleicht aneinander vorbei. Das würde mich investigativ interessieren, mit Lebensgeschichten so umzugehen und zu schauen, wo sind hier die genauen Anschlussstellen. Wo passiert schon was, wo passiert nix und wie gestaltet sich so ein Leben hier? Ich glaube, daß hier ganz viele unterschiedliche Sachen passieren, die wir alle nicht kennen, weil es die Anschlussstellen zueinander nicht gibt.

Filmisch diese Besonderheit, diesen Genius Loci einzufangen, nämlich daß man am Stadtrand auf eine ganz eigene Art miteinander umgeht. In der Stadt kannst Du Dir aus dem Weg gehen, am Land kommst Du so schnell nicht aus und am Stadtrand bist Du wiedermal zwischen drinnen.

Gleichzeitig habe ich in der Stadt viel engere Strukturen für mich, wo ich hingehen kann, also ein viel gezielteres Angebot, das ich leicht erreichen kann. Aber das gibt es hier ja nicht. Du kannst hier ja nicht in die Jazzbar gehen, wenn es dich abends interessiert, sondern das ist ein Angebot woanders.

Ich kann von hier in die Stadt fahren, wenn ich im Waldviertel wohne wird es etwas schwierig.

In einer Stadt hättest du das ja in deinem Viertel, in deinem Bezirk. Da hättest du ganz viele Angebote in diese Richtung. Und hier wären ja all diese Potenziale und Interessen auch da wahrscheinlich, aber sie werden wahrscheinlich woanders ausgelebt. Das wäre interessant, wie das ist, weil es auch eine Eigenheit von hier ist. Im urbanen Bereich gibt’s Wege, wie man damit umgeht. Am Land gibt’s Wege, wie man damit umgeht, indem man einfach die Formen halt kleiner und einfach hat. Und hier wäre das ja so eine riesige Potenzialität möglicherweise auch. Die Leute könnten wahnsinnig viel, aber weder merken wir es, noch können wir es abholen. Das ist spannend! Wahrscheinlich würde ein Film eher das versuchen herauszuarbeiten, was hier im Zentrum steht. Oder ich würde einzelne Leute porträtieren, die ich spannend finde, sowie den Ö-Greissler, oder Dich. Aber ich würde wahrscheinlich kein zu großes Bild von der Stadt zeichnen wollen, weil mir das immer zuviel auslässt, bin eher ein Freund der Tiefseebohrungen oder der kleinen Beobachtung. Hab jetzt auch wieder kein Bild von der Stadt als solches vor Augen.

Vielen Dank!

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