Benjamin Mayer

Individualist & Marken-Experte, Gross-Enzersdorf

Mein Name ist Benjamin Mayer und ich bin in Groß-Enzersdorf aufgewachsen. In der Schule und zum Studieren war ich in Wien, dort sind auch die meisten meiner Freunde. Ich bin ein Kind dieser transdanubischen Region.

Als Jugendlicher wollte ich sobald als irgendwie möglich hier weg. Denn wenn man jung ist und ausgehen will, und dann in der Nacht bis zu 1,5h nach Hause braucht, dann nervt das. Das ist eine Einstellung, die ich fast unisono mit den anderen geteilt habe, mit denen ich hier aufgewachsen bin. Als ich dann dort gelebt habe, habe ich mich sehr unwohl gefühlt. Heute wohne ich wieder in Groß-Enzerdorf und nutze die Angebote der Großstadt gezielt.

Nach fast 30 Jahren weiß ich noch immer nicht was Groß-Enzerdorf auszeichnet. Ich arbeite in einer Markenagentur und machen mir natürlich auch darüber Gedanken. Unser Ort steht aus meiner Sicht für Nichts, auch das „Tor zum Marchfeld“ ist nur ein leerer Titel, daraus könnte man sehr viel machen. Auch für Jugendliche gibt es keine Angebote. Ich war früher selbst Jungscharführer, da war einiges los. Heute gibt es ein Jugendzentrum irgendwo im Gewerbezentrum. Das sagt schon etwas über die Wertigkeit aus.

Wenn ich Bürgermeister wäre, würde ich den Ort attraktiv für kreative Unternehmen machen, den Stadtplatz und den Park als Ort der Begegnung gestalten. BewohnerInnen in den Dialog bringen, junge Menschen für Bürgerbeteiligungs-Projekte gewinnen und vor allem richtig kommunizieren.

(Mayer)

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Kannst Du Dich bitte vorstellen?

Ich heiße Benjamin und bin aus Groß-Enzersdorf, wurde in Wien geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens hier gewohnt. Bin aber ein bisschen schizophren in meinem Wesen, sowie vielleicht auch diese Stadt, denn ich würde mich niemals als Niederösterreicher bezeichnen. Meistens, wenn mich Leute fragen, die von irgendwo herkommen, sag ich, ich bin aus Wien und die meisten Leute nehmen auch an, daß ich aus Wien bin, weil ich vielleicht durch meine Art zu reden auch wienerisch rüberkomme. Ich bin in Wien ins Gymnasium und auf die Uni gegangen und der Großteil meiner Freunde kommt von da, viele aus dem 22. Bezirk. Ich bin ein Kind dieser transdanubischen Region.

Du hast also mehr Zeit hier gelebt als woanders?

Während des Studiums habe ich im 19ten gewohnt. Wenn Du in Gr.Enz aufwächst und Deine Teenager-Jahre hier verbringst, dann stört Dich nichts mehr, als wenn Du am Abend ausgehen willst und dann mit dem Nachtbus heimfahren mußt. 1,5h quer durch die Stadt und Du hast keine Quando-App. Damals ist man mit dem Bus nur bis zur Stadtgrenze gekommen, weil weiter ist er nicht gefahren und dann noch eine halbe Stunde heimgehen. Alles was ich mir da gedacht habe war, würde ich in Wien wohnen, dann wäre ich in 20min daheim. Deswegen, war mein Wunsch, wie bei vielen hier, sobald irgendwie möglich nach Wien zu ziehen. Mein jüngerer Bruder und die meisten meiner Freunde wohnen heute in Wien. Das ist eine Einstellung, die ich fast unisono mit den anderen geteilt habe, mit denen ich hier aufgewachsen bin. Wie ich aber dann endlich in Wien gewohnt habe, habe ich mich gefühlt wie eine Biene in einem riesen Bienenstock. Dafür hatte ich schon immer irgendwie den Drang mich abzusetzen von den anderen, im Sinne von unterscheiden. Dort verschwindest Du nämlich in diesen Gassen und irgendwie sind alle Häuser gleich und in jeder zweiten Straße hast Du ein Deja-vu und fragst Dich, ob Du hier schon mal warst. Das hatte etwas sehr Bedrückendes für mich. Ich bin zwar oft in den Wienerwald raus mit dem Hund, aber mir war schnell klar, daß ich nicht für die Stadt gemacht bin. Interessanter Weise, habe ich damals das vielfältige Angebot der Stadt weniger genutzt, als hier am Stadtrand, wo ich gezielt für Veranstaltungen reinfahre. Ich bin dann wieder rausgezogen. Jetzt arbeite ich in Carnuntum, habe einen weiten Arbeitsweg und bin kaum noch in Wien. Jetzt hat die Stadt aber wieder an Reiz für mich gewonnen. Wenn ich jetzt reinfahre, dann versuche ich gleich mehrere Termine und Besorgungen effizient zusammenzulegen.

Bist du hier in die Schule gegangen?

Ja in die Volksschule, aber dann ins Gymnasium in Wien. Ich bin hier in die gleiche VS gegangen, wie auch meine Eltern und Großeltern. Witzige Geschichte am Rande: es gab dort gleich neben dem Klo ein Fenster, das hat mir mal mein Opa gezeigt, das er in den 30er Jahren mit einem Fußball eingeschossen hat. Das konnte man dann 60 Jahre später immer noch von den anderen unterscheiden. Ich war schon froh, als ich gehört habe, dass die alte Volksschule nicht abgerissen wird, sondern erhalten und erweitert werden soll, weil die steht ja schon seit 1904.

Du hast erzählt, daß viele Mitglieder deiner Familie in staatlichen oder staatsnahen Institutionen tätig sind oder waren. Du bist da ganz anders gepolt und liebäugelst mit der Selbstständigkeit, warum glaubst Du ist das so?

Das hat für mich sehr viel mit der Persönlichkeit zu tun. Ich habe immer ein großes Problem mit Autorität gehabt und will mir eigentlich von niemandem was sagen lassen. Ich will auch nicht, dass irgendjemand über mich urteilen kann. Für mich ist jede Form von Konzernen oder irgendwie vielschichtiger Institution kafkaesk. Das ist für mich alles schrecklich irgendwelche Befehle zu empfangen von jemanden, den ich nicht kenne. Interessanterweise war das in meiner Familie nie ein Problem und sie haben mich meine Andersartigkeit nie spüren lassen. Mein Job und meine Tätowierungen waren immer in Ordnung und sie haben darauf vertraut, dass ich meinen Weg gehen werde.

Findest du das Groß-Enzersdorf gut gekleidet ist?

Nein, aber die einzige Stadt, in der die Menschen aus meiner Sicht gut gekleidet sind, ist Barcelona.

Ich wollte eher auf das äußere Erscheinungsbild der Stadt anspielen, wie sie sich präsentiert.

Wenn ich das beruflich betrachte und mich frage, was die Marke GrEnz ist, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass die Marke gar nichts ist. Ich darf Dich da zitieren, es ist „totes Land“. Ich habe viel darüber nachgedacht und Du hast recht, aber es ist auch wie eine weiße Leinwand. Du kannst hier viel leichter etwas etablieren, mit wenigeren Mitteln, als z.B in Eggenburg, Weitra oder Zwettl. Das sind Städte die man allesamt mit etwas verbindet. Bei GrEnz denkt man an gar nichts. Wir haben eine Stadtmauer, aber dann, was ist drinnen? Wofür steht GrEnz?

Das kann man auf der Homepage nachlesen.

Okay gut, aber „show, don´t tell“! Wenn du es nicht spürst, was ist es dann wert?

Es hat sich ja anscheinend jemand Gedanken gemacht. Vielleicht schlagen wir es kurz auf der Gemeindeseite nach: GrEnz ist Schulstadt, Einkaufsstadt, Stadtmauerstadt und Musikstadt.

Das ist aber eine Aufzählung von Dingen, die es hier gibt. Ich beschäftige mich beruflich mit Marken, ich schaffe und pflege sie. Mit Marken ist es so, wie mit Stadt-Land-Fluss: je mehr Leute etwas sagen, desto wertloser ist es. Schulen, Einkaufen, das kann sich doch jede Stadt auf die Fahnen schreiben, die eine Schule und ein Geschäft hat. Das ist keine Marke! Zwei Städte, die bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben, sind erstens Glurns in Südtirol. Mit 1.000 Einwohnern die kleinste Stadt der Alpen hat Glurns eine schön renovierte Stadtmauer. Als ich dort war, gab es in den Wehrtürmen Ausstellungen lokaler Künstler. Und die 2. Stadt ist Gmünd in Kärnten.

Was zeichnet Groß-Enzersdorf aus? Wer ist man, wenn man Groß-Enzersdorfer ist?

Das kann ich Dir nach 29 Jahren auch nicht sagen. An der Ortseinfahrt steht das „Tor zum Marchfeld“. Mit dem Namen könnte man etwas anfangen, aber ich sehe nicht, dass damit irgendetwas passiert. Hier könnten alle Fäden zusammenlaufen, hier könnte jede Reise ins Marchfeld beginne, aber das tut es nicht.

Was bräuchte GrEnz, um für Jugendliche lebenswert zu sein?

Ich habe vor ein paar Jahren das Gerücht gehört, dass hinten beim Nationalpark-Camp eine FH entstehen soll. Da habe ich mir gedacht, das wäre das Beste was dieser Stadt passieren könnte. Dann gäbe es mehr Durchmischung, mehr Studenten, mehr Leben. Zu der Zeit, wo ich ins Gymnasium gekommen bin, gab es im 22ten nur zwei nahe gelegene Möglichkeiten. Jugendliche können heute in die Hauptschule oder ins Gymnasium gehen, entweder hier oder in Wien, wodurch sich sofort dein Lebensmittelpunkt verschiebt. Relativ früh nach der Volksschule kristallisieren sich dann doch unterschiedliche Milieus heraus. Mir kommt vor, wir haben für gar kein Jugend-Milieu irgendwelche Angebote. Warum sonst stehen soviel bei der Busstation oder anderen Orten herum?

Gibt es Jungschar, Pfadfinder, Lokale oder Institutionen, wo Jugendliche ihr Fähigkeiten und Fertigkeiten ausprobieren und ausbauen können.

Ich war früher Jungschar-Führer, da haben wir viele verschiedene Dinge für Jugendliche veranstaltet. Wir hatten einen Jugendraum im Pfarrheim, wo man immer nach der Schule hingehen konnte. Heute gibt es das JUZ, das man hinten ans Industriezentrum drangehängt hat. Ich weiß nicht, wer auf so eine Idee kommt. Das sagt schon etwas über die Wertigkeit aus. In Aspern ist der Jugend-Container mitten im Park gegenüber der Kirche.

Eine aufgelegte Frage, die ich jetzt stellen muß: Wärst du Bürgermeister, was würdest du ändern?

Wo soll ich anfangen? Ich würde den Standort für Unternehmen attraktiv machen. Wie wir schon festgestellt haben, ist auch der 22. Bezirk nicht gerade die Region, wo viele Kreativ-Unternehmen zu finden sind. Dafür fahren alle über die Donau. Selbst in der Seestadt gibt es (noch) nicht viele Firmen. Man kann nicht alles mit Wohnungen und Häusern zubauen, sondern es braucht Vielfalt, damit dann auch dort Leben entstehen kann. Es braucht Lokale, Geschäfte, Firmen. Es braucht einen regionalen Markt, wo die Produkte der Produzenten der Region angeboten werden, ähnlich wie der Waldviertler-Land-Laden. Ich würde den Marktplatz neu gestalten, damit der Markt auf einem stimmigen Platz stattfinden kann und ein Ort der Begegnung wird.

Was soll ein Stadtpark heute können? Für wen ist er interessant?

Ein Stadtpark ist ja auch eng mit der Marke einer Stadt verbunden. Vielleicht sollte er sich von anderen unterscheiden. Da fließt hier auch sehr wenig Liebe rein, wie lange zB stand der Bauzaun um den Brunnen? Ich habe mit Menschen gesprochen, die gerne etwas bezahlt hätten, damit dieser Schandfleck endlich verschwindet. Ich würde auf anerkennende Bürgerbeteiligungs-Modelle setzen.  Es muß auf jeden Fall anders aufgesetzt werden, wie z.B der Stadterneuerungs-Prozess. Wir leben im 21. Jahrhundert, das muss dynamischer gestaltet, digitalisiert und vor allem besser kommuniziert werden. Alle 2 Monate ein Abendprogramm ist zu wenig. Es braucht Feedback-Schleifen und wenn etwas passiert, dann muß es kommuniziert werden.

Was kann getan werden, damit hier mehr Leben ins Dorf kommt?

Ich glaube, die BewohnerInnen müssen erst mal in den Dialog kommen, der dann auch Fortbestand hat. Es gibt die Leute ja, die hier etwas bewegen wollen…

Aber sind es nicht immer die Gleichen?

Man braucht die jungen Leute. Die Leute werden alt und dann erlischt das Feuer des Wollens. Jüngere Menschen sind leichter zu begeistern, weil sie noch nicht niedergelassen sind und Teil von dynamischen Prozessen sein wollen. Bei jungen Familien, die zum Kinder-bekommen aufs Land ziehen, wird das schon schwieriger.

Kann es sein, dass Du andere Bedürfnisse hast, als die Otto-Normal-Groß-Enzersdofer. Viele Menschen, die hier rausziehen suchen ja eher die Ruhe und das leistbare Glück im Grünen. Wenn sie aus der Stadt hierherkommen, dann haben sie es ins „Paradies“ geschafft. Warum sollen sie daran etwas ändern?

Ich glaube es braucht eine Nische, die sich wirklich von der Masse abhebt. Nehmen wir das Poledance-Shop und den Fischer-Zubehör-Laden, das sind Nischengeschäfte in der Region.

So wie das Autokino, das ist ja einzigartig in Österreich.

Ja das finde ich auch pervers. Du sitz die Hälfte des Tages drinnen, oder stehst mit dem Auto im Stau und am Abend fährst du ins Autokino, um wieder im Auto zu sitzen. Wahrscheinlich ist es das Problem, des Propheten im eigenen Land. Jimi Hendrix mußte auch erst nach England gehen, um später in Amerika berühmt zu werden. Als Groß-Enzersdorfer für Groß-Enzersdorfer etwas zu machen ist schwierig. Vielleicht muß jemand von außerhalb kommen.

Oder man akzeptiert einfach, dass es ist, wie es ist. Das nur eine kleine Gruppe von Menschen etwas ändern will und für die Meisten alles paßt. Warum nicht hier nur schlafen und draußen die Welt verbessern?

Ganz ehrlich, das ist für mich nicht wirklich eine Option. Das ist eine Niederlage!

Vielen Dank für das Interview.